Europa als Zusammenschluss freier und demokratischer Staaten steht in der Verpflichtung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, die im Jahr 1948 als Ausweg aus Feindschaft und Zerstörungswut verkündet wurde. Um diese Grundlagen zu bekräftigen haben die Mitgliedsstaaten der EU 1950 zusätzlich die Europäische Menschrechtskonvention unterzeichnet.
Jedem Menschen kommen demnach die gleichen Rechte der Würde, der Freiheit, der Gerechtigkeit und des Friedens zu. In Artikel 28 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ist festgelegt, dass jeder Mensch den Anspruch auf eine soziale und internationale Ordnung hat, in welcher die in dieser Erklärung angeführten Rechte und Freiheiten voll verwirklicht werden können.
Gegenwärtig zeigen viele Länder Europas eindrucksvoll, dass sie gewillt sind, den Geflüchteten des Krieges in der Ukraine in ihren Aufnahmeländern so gut wie möglich diese Rechte zu gewähren. Die Versorgung all dieser Schutzsuchenden ist offensichtlich in Europa möglich und wird durch solidarische Unterstützung vieler Bürgerinnen und Bürger begleitet. Ein großartiges Beispiel dafür, wie Flüchtlingsaufnahme gelingen kann!
Doch wie anders sieht es – nur von wenigen bemerkt – an vielen Orten der Außengrenzen Europas aus! Menschen werden dort in Lagern festgehalten, müssen in unbeheizten Zelten hausen, Kinder werden nachts von Ratten gebissen, Polizeikräfte entwenden mitten im Winter Schuhe, damit Menschen am Grenzübertritt gehindert werden.
Wie ist es mit den unterzeichneten menschenrechtlichen Standards vereinbar, dass Boote mit Flüchtenden auf dem Mittelmeer aus europäischen Gewässern abgedrängt werden, bis sie nach Libyen zurückkehren und erneut in Lagern festgehalten werden, aus denen von Folter berichtet wird?
Wie sind die menschenrechtlichen Abkommen damit vereinbar, dass Europa viel Geld zahlt für die Ausstattung von Grenzpolizei und für humanitäre Hilfe in Flüchtlingslagern, aber keine Einigung zustande kommt über Aufnahme und Verteilung hilfsbedürftiger Menschen?
Amnesty International beobachtet mit großer Besorgnis, wie zunehmend an den Außengrenzen Europas elementare Menschenrechte verletzt werden. Markus N.Beeko, Generalsekretär von Amnesty in Deutschland: „Menschen überall in Deutschland zeigen sich beschämt, dass die unverzügliche und solidarische Aufnahme und Verteilung von Menschen in Not nicht gelungen sind. Es wird nicht einmal versucht zu verbergen, dass es einen politischen Unwillen gibt, gegenüber den schutzsuchenden Menschen elementare Menschenrechtsverpflichtungen wahrzunehmen. Hier werden europäische Differenzen auf dem Rücken bereits vielfach traumatisierter Menschen ausgetragen. Dies diskreditiert die gesamte Europäische Union weiter in ihrer völkerrechtlichen und menschenrechtlichen Glaubwürdigkeit. Wer Frauen, Männer und Kinder ohne ausreichende Nahrung, medizinische Versorgung, Pandemieschutz und Unterkunft alleine lässt, um weitere Schutzsuchende abzuschrecken, bewegt sich nicht auf dem Boden von Menschenrechten und der EU-Grundrechtecharta.“ (Presseerklärung ai vom 20.09.2020)
Amnesty International fordert:
- keine Gewalt gegen Schutzsuchende an EU-Grenzen
- Zugang zu fairen Asylverfahren für alle Schutzsuchenden
- sichere Fluchtwege und sichere Zugangswege zur EU
- keine Behinderung oder Kriminalisierung privater Seenotrettung
- Wiederaufnahme staatlicher Seenotrettung
- keine Push-Backs an Land oder auf See
- EU – Staaten müssen den Schutz von Flüchtlingen teilen
- Übernahme von Flüchtlingen durch Deutschland
Jede*r von uns ist Bürger*in Europas und somit mitverantwortlich für das, was an den Außengrenzen passiert!