Was passiert auf dem Mittelmeer?
Die Bilder von einfachen Booten, eng besetzt mit Menschen, auf den Wellen des Mittelmeeres schaukelnd, sind bekannt. Weniger bekannt ist, in welchem Maß europäische Behörden dafür sorgen, dass viele dieser Boote niemals das europäische Festland erreichen.
Anlässlich einer Videokonferenz einiger Innenminister von EU-Mitgliedsstaaten zur verstärkten europäischen Zusammenarbeit bei der „Bekämpfung der Schleuserkriminalität“ mit nordafrikanischen Staaten , erklärt Julia Duchrow von Amnesty International Deutschland:
„Die Konferenz findet statt, während es den Mitgliedsstaaten nicht gelingt, sich auf ein funktionierendes gemeinsames Asylsystem in Europa zu einigen. Weil nicht alle europäischen Länder bereit dazu sind, Schutzsuchende aufzunehmen, sollen nordafrikanische Staaten weiterhin dafür sorgen, dass Menschen auf der Flucht die EU-Außengrenzen gar nicht erst erreichen. Diese Auslagerung der Verantwortung ist eine Farce und geht oft mit Menschrechtsverletzungen einher. Denn das Training und die Versorgung mit technischem Gerät der libyschen Küstenwache durch Deutschland und andere EU-Mitgliedsstaaten führt dazu, dass die libysche Küstenwache aus Seenot Gerettete zurück in Folter und Haft bringt. Dies muss ein Ende haben.“ (Pressemitteilung Amnesty International, August 2020)
Amnesty International weist seit Jahren darauf hin, dass beispielsweise die Kooperation mit Libyen zu schwersten Menschenrechtsverletzungen führt, weil geflüchtete Menschen dort willkürlich eingesperrt und misshandelt werden.
Der Amnesty-Bericht ‚No one will look for you‘ von Juli 2021 recherchiert die Verhältnisse in den libyschen Gefangenenlagern und veröffentlicht erschütternde Interviews. Eine 24-jährige Frau, die 2021 auf dem Mittelmeer abgefangen wurde und im libyischen Lager ‚Shara al-Zawiya Center‘ willkürlich festgehalten wurde, erzählt: „We suffered a lot in that prison…Three police officers (guards) proposed to me that they will sleep with me and after that they will free me. I said no… (The guard) used a gun to knock me back. He used a leather soldier’s shoe… to (kick) me from my waist…”
“Jamal”, ein 21-jähriger Flüchtling: “There was blood of the (dead and injured) people on the walls and the floor… (but) it was as if nothing ever happened. They beat you and leave, and no one asks. Death in Libya, it’s normal: no one will look for you, and no one will find you.”
Neben schätzungsweise 6.100 Menschen, die von der libyschen Küstenwache in derartige Haftlager zurückgebracht wurden, sind im Jahr in der ersten Jahreshälfte 2021 im Mittelmeer bereits mehr als 1.100 Menschen ertrunken. (Pressemeldung AI 15.07.2021)